
Parkinson: Wie beeinflussen Luftverschmutzung, Lösungsmittel und Pestizide das Risiko?
Autoren:
Priv.-Doz. Dr. Philipp Mahlknecht, PhD
Dr. Simon Leiter
Universitätsklinik für Neurologie
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail: philipp.mahlknecht@i-med.ac.at
Bereits bei der Erstbeschreibung der Parkinsonkrankheit (PK) im 18.Jahrhundert in London glaubte man, dass die Umweltverschmutzung eine Rolle bei der Entstehung von der PK spiele. Die „Umwelt-hypothese“ nahm Ende des letzten Jahrhunderts mit der Entdeckung selektiver Neurotoxine, die zu nigrostriataler Degeneration und Parkinsonsymptomen führen, Fahrt auf. Mittlerweile wissen wir, dass die Exposition gegenüber Luftverschmutzung, Lösungsmitteln und bestimmten Pestiziden das Parkinsonrisiko gewichtig erhöhen kann.
Keypoints
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Epidemiologische Studien zeigen ein erhöhtes Parkinsonrisiko bei Exposition gegenüber bestimmten Pestiziden, TCE und Luftverschmutzung.
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Kausale Zusammenhänge aus epidemiologischen Studien herzustellen ist schwierig, zusammen mit tierexperimemtellen Studien können aber mögliche Mechanismen abgeleitet werden.
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Expositionen passieren häufig berufsbedingt (vor allem bei Pestiziden). Aber auch im Alltag können Menschen unbewusst in Kontakt mit PK-assoziierten Umweltgiften kommen.
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Koexposition und Gen-Umwelt-Interaktionen könnten die unterschiedliche Suszeptibilität gegenüber verschiedenen Umweltgiften erklären.
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Die öffentliche und gesundheitspolitische Aufmerksamkeit gegenüber der Rolle des Exposoms in der Ätiologie der PK sollte gestärkt werden.
Exposom
Die PK ist unter den neurologischen Krankheiten die mit der am raschesten steigenden Prävalenz, wobei dieser Anstieg nicht allein durch steigende Lebenserwartung oder verbesserte Diagnose erklärt werden kann. Gängige Hypothesen gehen davon aus, dass dieser Anstieg auch von einer zunehmenden Exposition gegenüber Schadstoffen, welche die PK auslösen oder zumindest deren Auftreten begünstigen können,1 getrieben wird. In Abgrenzung von genetischen Ursachen oder Risikofaktoren der PK wird in diesem Zusammenhang nun auch vom „Exposom“ gesprochen. Dieses beinhaltet neben bekannten assoziierten individuellen Faktoren, wie Rauchen oder Kaffeekonsum, exogene und oft nicht im Einzelnen beeinflussbare Faktoren, wie eben die Exposition gegenüber Pestiziden, Lösungsmitteln und der Luftverschmutzung.
Pestizide
Pestizide sind eine heterogene Gruppe an diversen Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmitteln (Herbizide und Insektizide) sowie pilzabtötenden Mitteln (Fungizide). Chronischer Kontakt mit Pestiziden in der Landwirtschaft wurde in den letzten Jahrzehnten in zahlreichen Studien in Zusammenhang mit einem laut Metaanalysen 1,1- bis 2-fach erhöhten Parkinsonrisiko gebracht.2
Während früher vermehrt einzelne spezifische Pestizide wie Paraquat und Rotenon im Fokus standen, mehren sich Assoziationen verschiedener Pestizide mit einem häufigeren Auftreten der PK bei exponierten Personen. Eine US-amerikanische Publikation konnte mittels des geschickten Studiendesigns einer sogenannten „Pesticide-Wide Association Study“ (PWAS) bei 25 aus 288 untersuchten Pestiziden eine starke Assoziation zur PK feststellen.3 Viele dieser Pestizide finden weiterhin breite Anwendung, die meisten sind in den USA noch in Verwendung, einige auch in Europa.3 Lange Latenzzeiten zwischen der Exposition und dem Auftreten erster Symptome der PK erschweren die Durchführung prospektiver epidemiologischer Studien und Fall-Kontroll-Studien müssen mit Vorsicht interpretiert werden. Deshalb ist der Nachweis striataler Degeneration und/oder einer α-Synuklein-Pathologie in präklinischen Modellen besonders relevant, was zum Beispiel erfolgreich für Rotenon und Paraquat gezeigt werden konnte.4
Im Gegensatz zu diesen beiden bereits umfangreich erforschten Pestiziden fehlt für andere ein ausreichendes Verständnis. So ist zum Beispiel die Datenlage für eine Assoziation der PK mit dem medial sehr präsenten Glyphosat spärlich.2 Untersuchungen zur Pathophysiologie zeigen eine synergistische Wirkung bei Koexposition gegenüber verschiedenen Pestiziden und eine verstärkte Toxizität in Assoziation mit bestimmten genetischen Veränderungen.2
Lösungsmittel
Im Gegensatz zu den verschiedenen Pestiziden, die mit einem erhöhten Parkinsonrisiko in Verbindung gebracht werden, stehen bei den Lösungsmitteln die mannigfaltig einsetzbare Substanz Trichlorethylen (TCE) und in geringerem Ausmaß die mit diesem eng verwandte Struktur Perchlorethylen im Mittelpunkt der Forschung. TCE ist eine flüchtige und gut wasser- und fettlösliche Substanz, die sich hervorragend zur Reinigung metallischer und elektronischer Gegenstände und zur Trockenreinigung eignet. Sie kann aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften inhalativ, enteral oder dermal aufgenommen werden. Aufgrund des nachgewiesenen karzinogenen Potenzials ist der Einsatz von TCE mittlerweile u.a. in der EU streng reguliert, jedoch nicht vollständig verboten.5
Die Hinweise auf einen Zusammenhang mit dem Auftreten der PK mehrten sich in den letzten 15 Jahren. Eine Fallserie aus den USA brachte drei PK-Fälle in Zusammenhang mit engem beruflichem Kontakt zu TCE und beschrieb zudem bei mehreren anderen im selben Metallbetrieb Angestellten eine leichte Parkinsonsymptomatik.6 Zudem konnte in dieser Arbeit in einem Tiermodell die Hemmung des mitochondrialen Komplexes I durch diese Substanz nachgewiesen werden.6
Verstärkte Aufmerksamkeit hinsichtlich der Umweltexposition gegenüber TCE gibt es seit der rezenten Publikation einer populationsbasierten Kohortenstudie bei mehr als 150000 US-amerikanischen Veteran:innen. Für Personal, das im Camp Lejeune stationiert war, wurde eine Odds- Ratio von 1,7 für das Auftreten der PK im Vergleich zu nicht dort stationierten Veteran:innen beschrieben. Das Wasser, mit dem dieses Camp versorgt worden war, war massiv durch Lösungsmittel, insbesondere mit TCE, verschmutzt gewesen.7 Trotz Einschränkungen im Gebrauch in westlichen Ländern ist der Einsatz von TCE weltweit weitverbreitet und steigt noch. Dies trägt möglicherweise über Kontamination von Grundwasser und Luft zum vermehrten Auftreten der Parkinsonkrankheit bei.1
Luftverschmutzung
Der Überbegriff Luftverschmutzung beschreibt die Freisetzung von umweltschädlichen Stoffen in die Luft, welche zumeist bei Verbrennungsvorgängen entstehen. Es handelt sich hierbei hauptsächlich um Feinstaub, Ruß und Abgase, welche Schadstoffe wie Kohlenmonoxid (CO), Kohlendioxid (CO2), Stickoxide (NOx) wie Stickstoffdioxid (NO2), Schwefeloxide (SOx), und Ozon (O3) umfassen. Beim Feinstaub sind vor allem Schwebeteilchen mit einer Größe bis zu 2,5µm schädlich (PM2,5), da sie – beladen mit anderen Schadstoffen wie Schwermetallen – inhalativ aufgenommen bis tief in die Alveolen vordringen.
Die Annahme, dass die Luftverschmutzung bei der Pathogenese der PK und anderer neurodegenerativer Erkrankungen eine Rolle spielt, wird durch neuropathologische und experimentelle Studien gestützt. Bereits bei Kindern und jungen Erwachsenen, die zur Jahrtausendwende in Mexiko-Stadt, wo die Luftverschmutzung sehr stark war, Bandenkriegen und Unfällen zum Opfer gefallen waren, konnte in neuropathologischen Studien eine hohe Rate an β-Amyloid- und α-Synuklein-Aggregaten gefunden werden.8 Im Tiermodell führt Feinstaub über neuroinflammatorische Prozesse zur α-Synuklein-Pathologie, dopaminerger Degeneration und motorischer Einschränkung.9
Auch wenn Schwierigkeiten in der Expositionserhebung und Koexpositionen die Durchführung guter epidemiologischer Studien erschweren, legen epidemiologische Daten eine Assoziation von Luftschadstoffen wie Feinstaub mit dem Auftreten der PK nahe. So konnte eine große nordamerikanische Fall-Kontroll-Studie die modellbasierte Exposition gegenüber Feinstaub und Stickstoffdioxid mit gering erhöhtem Parkinsonrisiko in Verbindung bringen. Dabei zeigte sich in der Studie ein um ca. 14% erhöhtes Risiko in der Quintile der höchsten im Vergleich zur niedrigsten Exposition.10
Die größte in Europa durchgeführte Studie ELAPSE („Effects of Low-Level Air Pollution: A Study in Europe“) konnte dies bei über 270000 Teilnehmer:innen aus sechs einzelnen prospektiven Kohorten untermauern: Hier gab es einen Zusammenhang von Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ruß mit PK-assoziierten Todesfällen, wenngleich im kombinierten Modell nur die Feinstaubexposition als signifikanter Faktor blieb.11
Konklusion
Es lässt sich sagen, dass die Exposition gegenüber einer Vielzahl an Pestiziden, dem Lösungsmittel TCE und Luftschadstoffen eindeutig mit dem Auftreten der PK in Verbindung gebracht wurde. Einen Überblick über die möglichen mechanistischen Zusammenhänge gibt Abbildung 1, entnommen einem guten rezenten Review.2 Verschiedene Expositionswege scheinen über lokale und/oder systemische molekulare Mechanismen in weiterer Folge zu den PK-typischen pathophysiologischen Veränderungen zu führen.2 Aus epidemiologischen Studien lässt sich ein Kausalzusammenhang aufgrund häufig bestehender Koexposition nicht direkt ableiten, dieser wird aber durch (tier-)experimentelle Daten nahegelegt. Der Mechanismus, über welchen es zum Auftreten des dopaminergen Zellverlusts und zur PK kommt, ist für selektiv neurotoxische Stoffe wie Paraquat gut beschrieben, für viele andere jedoch noch unzureichend verstanden. Eine gewichtige Rolle spielen wahrscheinlich auch Interaktionen zwischen genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen, sogenannte Gen-Umwelt-Interaktionen.1 So konnte für Menschen mit einer homozygoten Deletion des Gens für die Glutathion-S-Transferase T1 eine erhöhte Suszeptibilität gegenüber Paraquat gezeigt werden.12 Die Glutathion-S-Transferase ist wichtig für die Entgiftung von körperfremden organischen Substanzen. Die zentrale Rolle der Umwelt in der multifaktoriellen Ätiologie der PK ist in der von William Langston, einem wichtigen Pionier der Umwelthypothese, geprägten Aussage treffend dargelegt: „Genetics load the gun, but environment pulls the trigger.“13
Abb. 1: Umwelttoxine und ihre Expositionswege sowie mögliche pathophysiologische Mechanismen. Abkürzungen: ZNS: zentrales Nervensystem; TCE: Trichlorethylen. Aus: Atterling Brolin K et al.2
Trotz Wissenslücken und teils widersprüchlicher Resultate erfordert die Summe an Evidenz bereits jetzt eine vermehrte gesamtgesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit gegenüber den genannten umweltassoziierten Parkinsonrisikofaktoren.2 Die World Health Organization (WHO) forderte schon im Jahr 2022 das Verbot bestimmter Pestizide und Lösungsmittel sowie die Reduktion von Luftverschmutzung – eine Maßnahme, die nicht zuletzt aufgrund des prognostizierten weiteren Anstiegs der PK-Prävalenz sinnvoll erscheint.14
Literatur:
1 Dorsey ER, Bloem BR: Parkinson’s disease is predominantly an environmental disease. J Parkinsons Dis 2024; 14(3): 451-65 2 Atterling Brolin K et al.: Environmental risk factors for Parkinson’s disease: a critical review and policy implications. Mov Disord 2024; doi: 10.1002/mds.30067 3 Paul KC et al.: A pesticide and iPSC dopaminergic neuron screen identifies and classifies Parkinson-relevant pesticides. Nat Commun 2023; 14(1): 2803 4 Dovonou A et al.: Animal models of Parkinson’s disease: bridging the gap between disease hallmarks and research questions. Transl Neurodegener 2023; 12(1): 36 5 Case study: Impacts of REACH authorisation of trichloroethylene. Eur Chemicals Agency 2022 [accessed 2025 Jan 22]. https://echa.europa.eu/documents/10162/17228/report_tce_authorisation_en.pdf/b5a4ba04-6f04-dcc5-f5b2-c1bb880d4152 6 Gash DM et al.: Trichloroethylene: Parkinsonism and complex 1 mitochondrial neurotoxicity. Ann Neurol 2008; 63(2): 184-92 7 Goldman SM et al.: Risk of Parkinson disease among service members at Marine Corps Base Camp Lejeune. JAMA Neurol 2023; 80(7): 673-81 8 Calderón-Garcidueñas L et al.: Urban air pollution: influences on olfactory function and pathology in exposed children and young adults.Exp Toxicol Pathol 2010; 62(1): 91-102 9 Yuan X et al.: Fine particulate matter triggers α-synuclein fibrillization and Parkinson-like neurodegeneration. Mov Disord 2022; 37(9): 1817-30 10 Krzyzanowski B et al.: Air pollution and parkinson disease in a population-based study. JAMA Netw Open 2024; 7(9): e2433602 11 Cole-Hunter T et al.: Long-term air pollution exposure and Parkinson’s disease mortality in a large pooled European cohort: An ELAPSE study. Environ Int 2023; 171: 107667 12 Goldman SM et al.: Genetic modification of the association of paraquat and Parkinson’s disease. Mov Disord 2012; 27(13): 1652-58 13 Langston JW: The MPTP Story. J Parkinsons Dis 2017; 7(s1): S11-19 14 Parkinson disease: a public health approach. Technical brief. WHO 2022. [accessed 2025 Jan 22]. www.who.int/publications/i/item/9789240050983
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