
Migräne: nicht zu lange mit den Anti-CGRP-Antikörpern warten
Bericht:
Reno Barth
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Sowohl zu den Anti-CGRP-Antikörpern als auch zu den Gepanten wurde im vergangenen Jahr eine Vielzahl an Studien publiziert. Die Daten sprechen unter anderem dafür, dass die monoklonalen Antikörper in der Attackenprävention bereits relativ früh – also nach dem Versagen von einer oder zwei oralen Therapien – eingesetzt werden sollen. Hinsichtlich der Akuttherapie der Migräneattacken zeigt ein Review von mehr als 100 Studien die beste Wirksamkeit für die Gruppe der Triptane.
Keypoints
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Monoklonale Antikörper gegen CGRP sollen früh im Verlauf einer Migränetherapie zum Einsatz kommen.
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Triptane haben sich in Studien als die wirksamste Option in der Akuttherapie der Migräne erwiesen.
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Der Einsatz von Anti-CGRP-Antikörpern reduziert Absentismus und Präsentismus am Arbeitsplatz.
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Gepante können sowohl zur Atackenprävention als auch in der Akuttherapie der Migräne eingesetzt werden.
Studien zu CGRP-Inhibitoren
Eine Vielzahl von im Jahr 2024 publizierten Studien beschäftigte sich mit dem Einsatz der CGRP-Inhibitoren (Calcitonin Gene-Related Peptide; CGRP) unter klinischen Alltagsbedingungen, wie Prof. Dr. Koen Paemeleire, Universitätskrankenhaus Gent, ausführte und darunter die randomisierte, klinische Studie APPRAISE hervorhebt.
In der Studie APPRAISE wurde der frühe Einsatz von Erenumab mit verschiedenen konventionellen, oralen prophylaktischen Therapien verglichen. Die Studienpatient:innen litten unter episodischer Migräne und hatten zuvor auf einen oder zwei Therapieversuche nicht angesprochen. Der Antikörper kam hier also relativ früh zum Einsatz, was der Praxis im klinischen Alltag entspreche, so Paemeleire. Der primäre Komposit-Endpunkt verlangte eine Reduktion der Migränetage um mindestens 50% sowie Therapie-Adhärenz über mindestens ein Jahr. Die Studie ergab eine signifikante Überlegenheit von Erenumab im Vergleich zu weiteren Versuchen mit oralen Therapien. Den primären Endpunkt erreichten 232 von 413 Patient:innen in der Erenumab-Gruppe (56,2%) und 35 von 208 Patient:innen in der Vergleichsgruppe (16,8%). Das entspricht einem Wahrscheinlichkeits-Verhältnis von 6,48 zugunsten von Erenumab (Abb. 1).1 Paemeleire: „Die Studie ist insofern interessant, als der primäre Endpunkt Wirksamkeit und Adhärenz kombiniert. Und sie legt nahe, dass die monoklonalen Antikörper gegen CGRP früh im Verlauf der Migränebehandlung eingesetzt werden sollten.“
Abb. 1: Patient:innen, die eine Reduktion der Migränetage um mindestens 50% erreichen und dabei über ein Jahr adhärent bleiben (modifiziert nach Pozo-Rosich P et al. 2024)1
Eine weitere Studie zu Erenumab untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit des Antikörpers im Vergleich zu Placebo in einem Kollektiv von Patient:innen mit chronischer Migräne und Medikamenten-Übergebrauchs-Kopfschmerz (MOH). Primärer Endpunkt war die Remission des MOH nach sechs Monaten. Ergebnis war die signifikante Überlegenheit von Erenumab 140mg, nicht jedoch von Erenumab 70mg, jeweils einmal im Monat. Dabei wurde in der Placebo-Gruppe bei mehr als der Hälfte der Patient:innen MOH-Remission erreicht.2 Paemeleire: „Damit haben wir erstmals Evidenz für die Wirksamkeit einer präventiven Therapie bei MOH im Kontext einer chronischen Migräne.“
Eine europäische, multizentrische Real-World-Studie lieferte Daten zur Wirksamkeit von Anti-CGRP-Antikörpern bei episodischer Migräne mit hoher Attacken-Frequenz und chronischer Migräne. Mit fast 6000 Patient:innen handelte es sich um die bislang größte prospektive Real-World-Studie zu dieser Therapie. Sie zeigte, dass mehr als die Hälfte der Patient:innen eine Reduktion der Kopfschmerztage um mindestens 50% erreichen. „Vor allem zeigen jedoch auch die Ergebnisse dieser Studie, dass ein früher Einsatz der monoklonalen Antikörper im klinischen Alltag das Ansprechen verbessert.3 Das ist von hoher Bedeutung für die klinische Praxis“, kommentiert Paemeleire.
Einsatz von Anti-CGRP-Antikörpern ist kosteneffektiv
Mehrere aktuelle Analysen legen nahe, dass die Anti-CGRP-Antikörper aus medizinökonomischer Sicht besser abschneiden, als ihr hoher Preis erahnen lässt. So zeigt eine britische Studie, dass diese Therapien kosteneffektiv sind, wenn die Patient:innen unter mindestens vier Migränetagen im Monat leiden und ihre Migräne mit mindestens drei oralen Therapien nicht wirksam behandeln konnten.4 Und eine spanische Gruppe betont die Reduktion von Absentismus und Präsentismus durch den Einsatz von Anti-CGRP-Antikörpern. Damit überwiegt der ökonomische Nutzen dieser Therapien bereits nach drei Monaten die Kosten.5 Diese Information sei besonders für Kostenträger und Politik wichtig, betont Paemeleire.
In diesem Sinne ist auch ein aktuelles Statement zu sehen, mit dem die American Headache Society festhält, dass Anti-CGRP-Therapien bei Migräne als First-Line-Therapien gesehen werden sollten. Ein vorheriges Versagen anderer präventiver Migränetherapien sollte keine Voraussetzung für die Verschreibung mehr darstellen.6 Paemeleire: „Die European Headache Federation hat bereits vor einigen Monaten ein inhaltlich ähnliches Statement veröffentlicht. 2024 haben sich unsere Freunde von der anderen Seite des Atlantiks nun der europäischen Position angeschlossen.“
Gepante eignen sich sowohlzur Prävention als auch zur Akutbehandlung
Neue Daten liegen auch zur Substanzgruppe der Gepante vor. Paemeleire: „Mit den Gepanten verschwimmt die Grenze zwischen präventiver und akuter Behandlung. Die erste Generation der Gepante scheiterte bekanntlich an Lebertoxizität, doch mittlerweile haben wir Gepante der zweiten und nun auch schon dritten Generation, mit denen sich dieses Problem nicht stellt. Atogepant und Rimegepant sind in Europa und den USA zugelassen. In den USA stehen für die Akutbehandlung der Migräneattacke auch noch Ubrogepant sowie als Nasenspray Zavegepant zur Verfügung.“
ELEVATE- und PROGRESS-Studie
Für Atogepant zeigte die 2024 publizierte Phase-IIIb-Studie ELEVATE im Vergleich zu Placebo eine signifikante Reduktion der monatlichen Migränetage. Die Studienpatient:innen hatten zuvor auf zwei bis vier konventionelle orale Therapieversuche nicht angesprochen.7
In PROGRESS, einer weiteren Phase-III-Studie mit Atogepant waren auch Patient:innen mit MOH im Kontext einer chronischen Migräne eingeschlossen. Auch in dieser Population erwies sich Atogepant als wirksam im Sinne von Reduktionen der Migräne- und Kopfschmerztage sowie des Gebrauchs an Akutmedikamenten. „Patient-reported outcomes“ wurden verbessert und der Medikamentenübergebrauch ging zurück.8
TANDEM-Studie
Als relevant für die klinische Praxis bezeichnet Paemeleire die offene TANDEM- Studie, die den kombinierten Einsatz von Atogepant zur Attackenprävention und Ubrogepant zur Akutbehandlung von Attacken untersuchte. Dabei handelte es sich primär um eine Sicherheitsstudie, da die Wirksamkeit der beiden Therapien mittlerweile gesichert ist. Auch die Sicherheitsprofile entsprachen beim kombinierten Einsatz den Erwartungen. Es traten durch die Kombination keine neuen Sicherheitssignale auf.9
Metaanalyse: Triptane in der Akuttherapie wirksamer als Gepante
Relevante Informationen für die Migränetherapie im klinischen Alltag liefert ein systematischer Review mit Metaanalyse von 137 randomisierten, kontrollierten Studien zu akuten Interventionen bei Migräneattacken. Dabei wurden Daten zu 17 unterschiedlichen aktiven Therapien und fast 90000 Patient:innen erfasst. Dabei zeigten sich die insgesamt besten Ergebnisse für die Triptane Eletriptan, Sumatriptan, Rizatriptan und Zolmitriptan. Aus der Gruppe der Gepante wurden nur Rimegepant und Ubrogepant berücksichtigt, die in ihrer Wirksamkeit etwa mit Paracetamol oder den NSAR vergleichbar waren. Das Gleiche galt für den selektiven 5-HT1F-Rezeptor-Agonisten Lasmiditan. Die Autoren gelangten auch zu dem Schluss, dass Triptane trotz ihrer guten Wirksamkeit zu wenig eingesetzt werden.10 „Alles in allem waren also die alten, billigen Medikamente besser als die neuen, teuren. Diese Arbeit wird einiges an Diskussionen auslösen“, meint dazu Paemeleire, was gut sei, da derartige Diskussionen „die Wissenschaft weiterbringen“.
Quelle:
EHC 2024, „Walk through the congress“ & 2024 Highlights Session, am 4. Dezember 2024 in Rotterdam
Literatur:
1 Pozo-Rosich P et al.: Early use of erenumab vs nonspecific oral migraine preventives: the APPRAISE randomized clinical trial. JAMA Neurol 2024; 81(5): 461-70 2 Tepper SJ et al.: Efficacy and safety of erenumab for nonopioid medication overuse headache in chronic migraine: a phase 4, randomized, placebo-controlled trial. JAMA Neurol 2024; 81(11): 1140-9 3 Caronna E et al.: Redefining migraine prevention: early treatment with anti-CGRP monoclonal antibodies enhances response in the real world. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2024; 95(10): 927-37 4 Griffin E et al.: An economic evaluation of eptinezumab for the preventive treatment of migraine in the UK, with consideration for natural history and work productivity. J Headache Pain 2024; 25(1): 59 5 Lazaro-Hernandez C et al.: Early and annual projected savings from anti-CGRP monoclonal antibodies in migraine prevention: a cost-benefit analysis in the working-age population. J Headache Pain 2024; 25(1): 21 6 Charles AC et al.: Calcitonin gene-related peptide-targeting therapies are a first-line option for the prevention of migraine: An American Headache Society position statement update. Headache 2024; 64(4): 333-41 7 Tassorelli C et al.: Safety and efficacy of atogepant for the preventive treatment of episodic migraine in adults for whom conventional oral preventive treatments have failed (ELEVATE): a randomised, placebo-controlled, phase 3b trial. Lancet Neurol 2024; 23(4): 382-92 8 Goadsby PJ et al.: Efficacy of atogepant in chronic migraine with and without acute medication overuse in the randomized, double-blind, phase 3 PROGRESS trial. Neurology 2024; 103(2): e209584 9 Ailani J et al.: Safety and tolerability of ubrogepant for the acute treatment of migraine in participants taking atogepant for the preventive treatment of episodic migraine: Results from the TANDEM study. Headache 2024; doi: 10.1111/head.14871. Online ahead of print 10 Karlsson WK et al.: Comparative effects of drug interventions for the acute management of migraine episodes in adults: systematic review and network meta-analysis. BMJ 2024; 386: e080107
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